Dezember 2011

4. Dezember 2011

Liebe Spenderinnen und Spender, liebe Freunde unseres Projekts,

mein diesjähriger Winterbrief kommt spät, da ich im November in Serbien war und anschließend eine Spendenaktion für Becej (s.u.) organisiert habe. Ich habe viele gute und eine traurige Nachricht.

Für die eiligen LeserInnen:

1)    Das diesjährige multiethische Sommercamp ist wieder gut gelungen. Im Zentrum  standen die Themen Toleranz und Nationalismus. Der Kreis der beteiligten Länder konnte erweitert werden, diesmal waren neben serbischen, bosnischen, kroatischen, ungarischen und Romakindern auch welche aus Makedonien und Slowenien  sowie zwei Deutsche dabei.

2)    Die wöchentliche Gruppe der Friedensarbeit ist mit Öffentlichkeitsarbeit befasst und stellt regelmäßig Kontakte zu Jugendlichen der Nachbarländer her, was immer noch ein bedeutsamer politischer Schritt ist.

3) Das Forum „Brücke der Freundschaft“ zur Völkerverständigung, bekommt weiter neue Miitglieder, die grenzüberschreitenden Jugendbegegnungen tragen viel dazu bei, weil sie das Interesse der Erwachsenen wecken.

4) Die Idee, mit einer „Karavane des Friedens“ durch die ehemaligen Kriegsländer zu ziehen, nimmt Gestalt an, im Januar soll es los gehen.

5) Auf meiner Reise nach Becej hat mich die herrschende Not, die schlimmer ist  als nach dem Krieg ( !!) , so erschüttert, dass ich eine Hilfsaktion „Den Winter Überleben“ auf de Weg gebracht habe.

6) Das Benefizkonzert im November war ein großer Erfolg in  einer guten Atmosphäre und ein musikalischer Genuss. Die hohen Spenden haben uns ein großes Stück weiter geholfen und wir sind dafür sehr dankbar. Das Echo unserer Gäste war auch sehr positiv, alle haben sich wohl gefühlt.

 Für die LeserInnen mit mehr Zeit:

 Zu 1) 

Neben vielen fröhlichen Freizeitaktivitäten, bei denen sich die Kinder und Jugendlichen kennen lernen konnten, gab es thematische Workshops. Es gab Gespräche mit Mitgliedern von Friedensgruppen, die von ihrer Arbeit erzählten. Die Kinder malten zum Thema „Toleranz“ Bilder, die im Herbst bei öffentlichen Veranstaltungen ausgestellt wurden, um in der Bevölkerung Interesse an der Friedensarbeit zu wecken.

Auch bei uns in Bensberg wurden einige Bilder in der Schlossapotheke, die uns seit Jahren unterstützt,ausgestellt. Die älteren Jugendlichen hatten die Idee, eine Fahne zu malen, auf der die serbische und kroatische Fahne zu einer einzigen gemeinsamen verbunden wurden. Das war eine kluge Idee und zugleich eine Provokation der nationalistischen Gruppen in allen Ländern des früheren Jugoslawiens, für die Fahnen eine große Bedeutung haben . Die Jugendlichen drückten auf diese Weise ihren Wunsch aus, dass aus den zerstrittenen Ländern wieder Versöhnung und Gemeinschaft entsteht. Die Fahnen nahmen die Jugendlichen in ihre Heimatländer mit. In Serbien wurde das Bild sogar in der Zeitung veröffentlicht samt dem Kommentar der Jugendlichen, in einer Demokratie sei eine Provokation erlaubt. So werden aus den Kindern von gestern die jungen Erwachsenen von morgen …

 Zu 2)

Die wöchentliche Friedensgruppe in Backa Palanka  pflegt die Kontakte zu Jugendlichen in den Nachbarländern. Ziel ist es, Vertrauen aufzubauen, indem sie sich kennen lernen und überprüfen, ob die nationalen Vorurteile stimmen oder nicht. Sie wirken dabei als Multiplikatoren, weil diese Begegnungen von den Erwachsenen wahrgenommen werden und viele Gespräche  unter Erwachsenen statt finden, die normalerweise nicht zustande kommen.

Neu ist in diesem Jahr, dass Kontakte zu Jugendlichen aus Makedonien aufgebaut wurden.

Die älteren Jugendlichen nahmen auch regelmäßig an öffentlichen Veranstaltungen der Friedensaktivisten teil und diskutieren mit. Die letzte Veranstaltung war am 16. 11., dem Internationalen Tag der Toleranz, einem Datum, das bei uns kaum wahrgenommen wird.

Auch schreiben sie hin und wieder Artikel in der Zeitung „Tolerancija“.

Der zweite Schwerpunkt der Gruppe sind Themen, die die Jugendlichen selbst und ihre Situation betreffen. Die Jugend in ganz Serbien (außer in einigen Großstädten) hat fast keine Perspektive. Arbeit gibt es nicht. Das ist eine Situation, in der nationalistische und faschistische Gruppen wie überall auf der Welt leichtes Spiel haben, Menschen, vor allem Jugendliche, an sich zu ziehen. Es ist ein wichtiger Teil dieser Gruppe, den Jugendlichen beizustehen.

Zu 4)

Die „Karawane des Friedens“ ist organisiert. Es soll im Januar in Serbien los gehen. Stationen sind je  zwei Städte in Serbien, Kroatien und Bosnien, wo in öffentlichen Veranstaltungen auf die Versöhnungsarbeit aufmerksam gemacht wird, wo Kontakte zu Friedensaktivisten hergestellt werden und wo die Bürgermeister diese Aktionen unterstützen. All dies sind große Schritte … Das Ende soll im Mai in Sarajevo/ Bosnien sein.

Die Jugendlichen werden an dieser Karawane teilnehmen und mit den Jugendlichen das Thema „Welche Perspektive hat die Jugend in eurem Land?“ diskutieren.

Zu 5)

Meine Reise nach Becej war ausgelöst durch drei Briefe, in denen es hieß, die Situation sei jetzt schlimmer als nach dem Krieg. Ich habe leider erfahren, dass das stimmt.

Nach dem Krieg haben wir geholfen, die schweren Nachkriegsjahre zu überleben. Es war in all den Jahren eine sehr schwere Situation, aber wir hatten die Hoffnung, dass daraus eine bessere Zukunft entsteht.

Eine Welle von Privatisierung, verbunden mit Korruption, hat in kurzer Zeit fast alle kleinen Betriebe vernichtet und eine Wüste hinterlassen.
1000 Familien haben ihre Existenzgrundlage verloren, ein soziales Netz gibt es nicht. Renten werden nicht immer oder nur teilweise ausbezahlt. Wer keinen Rentner in der Verwandtschaft hat, steht ohne alles da. Die Preise der Grundnahrungsmittel sind so teuer wie bei uns, d.h. für viele unbezahlbar. Heizmaterial können sich diese Familien am Rande der Existenz nicht leisten, und die Winter dort sind kalt. Es fehlt auch an Kleidung, besonders für Kinder. Eine Perspektive gibt es nicht.

Erstmals habe ich erlebt, dass die balkanische Fröhlichkeit bei allen verschwunden war, weil niemand eine Lösung sieht. Die Trostlosigkeit hat mich angesteckt, ich habe es nicht fertig gebracht, Mut machende Worte zu sagen.

Ich habe es auch nicht übers Herz gebracht, einfach „Auf Wiedersehn“ zu sagen und zu gehen. Dazu sind die in 12 Jahren gewachsenen Freundschaftsbande zu stark. Eine Spendenaktion über Brücken bauen wollte ich nicht machen, da diese Spenden dringend für die Friedensprojekte benötigt werden.

So habe ich eine Initiative „Den Winter überleben“ initiiert, die die Diakonie der ev. Kirche Altenberg/ Schildgen  unterstützt. Wir werden eine Suppenküche finanzieren und Brennholz kaufen für die, die es dringend  brauchen, um den Winter zu überstehen.

Ich habe bei meinem Besuch in Becej auch wie immer einige unserer Flüchtlingsfamilien, die einst in der Turnhalle lebten, besucht und finde es wichtig, den Kontakt zu halten und an ihrem weiteren Schicksal, das oft sehr schwer ist, Anteil zu nehmen.

Es ist in dieser desolaten Situation nicht daran zu denken, dass Geld für Friedensarbeit und den damit eng verbundenen Aufbau ziviler Strukturen da ist. Die Friedensarbeit wird – für mich ganz unverständlich – auch nicht , wie es nötig wäre, in großem Umfang von Europa unterstützt. Serbien wird einfach sich selbst überlassen und damit in seiner Not im Stich gelassen.

Da ich diese Friedensarbeit mit der Jugend für so dringend notwendig halte, um langfristig dem Land eine Perspektive zu ermöglichen, brauchen wir weiterhin Ihre Spenden. Die schöne Entwicklung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist das Einzige, was mir im Moment wirklich Mut macht. Es ist eine Freude, mitzuerleben, wie schnell sich  Jugendliche von stereotypen Bildern „der Anderen“ lösen und eigene Kontakte aufbauen: unbefangen und fröhlich.

Danke für Ihre Treue zu diesem Engagement. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr

Christiane Bertram

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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